2011年10月30日 星期日

●Die abtrünnige Provinz ist einhundert Jahre alt

In diesem Jahr feiert Taiwan seinen 100. Geburtstag. Davon weiss die Welt kaum etwas und China schaut mit Absicht weg. Welchen Konflikt gibt es zwischen China und Taiwan überhaupt? Weshalb hält China Taiwan für eine abtrünnige Provinz, während Taiwan seine eigene Souveränität behauptet, was aber von der internationalen Gemeinschaft kaum anerkannt wird?


 
文/顏敏如  Yen Minju
 


mit diesem Brief werde ich mich von dir für immer verabschieden. Meine Tränen fallen auf das Briefpapier, während sich die Tinte auf ihm zu Zeichen formt; ich kann kaum weiter schreiben. ...Überall riecht es nach Blut, Wölfe laufen auf den Strassen umher. ...Versuche mich zu verstehen. Und denke an die anderen, wenn du weinst. Du sollst unser Glück opfern, um das Glück der anderen zu ermöglichen. Sei nicht traurig!...

Der Verfasser des obigen Briefs war der 24jährige Lin Jue-Min, der, nachdem er sich von seiner Frau verabschiedet hatte, zusammen mit mehr als einhundertsiebzig Menschen die Regierung in Südchina stürzte und dabei starb. Das war 1911. China war seit mehr als zweihundertsechzig Jahren von den Mandschu regiert worden. Der Anschlag, an dem Lin teilnahm, war der zehnte einer Umsturz-Serie, welche Sun Yat-Sen und seine Mitrevolutionäre planten und durchführten.

Fast jeder Jugendliche Taiwans lernt Lins in klassischem Chinesisch geschriebenen Abschiedsbrief auswendig. Fast jedes Kind Taiwans weiss, dass der elfte (erfolgreiche) Umsturzversuch die Geburt der Republik China ankündigte. Diese erste Republik Asiens beendete das monarchische System, das in China Jahrtausende geherrscht hatte.

Und weshalb war der Umsturz der von den Mandschu gegründeten Qing-Dynastie nötig? Was motivierte und einte die damaligen Intellektuellen (innerhalb und ausserhalb Chinas), die Eliten der Gemeinden, die Arbeiter, die Bauern, die Gangster, die Befürworter der Provinzselbstständigkeit zusammen, einen Regierungswechsel anzustreben?

Dass korrupte Regimes nicht lange leben, ist Naturgesetz. "Es riecht überall nach Blut, die Wölfe laufen auf den Strassen umher" deutet nicht nur hin auf eine zugrunde gerichtete Regierung, sondern auch darauf hin, dass diese Regierung so korrupt und so schwach war, dass sie das Eindringen der imperialistischen Mächte auf ihr Territorium zulassen musste.

Ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts zerfiel die mandschurisch-fremdherrschaftliche Qing-Dynastie. Seitdem Hongkong als Konsequenz des ersten Opiumkrieges in britische Hände gefallen war, erlebte China verschiedene Erniedrigungen. Neben dem erzwungenen Import von Opium durch Grossbritannien, was zu erheblicher innenpolitischer Instabilität führte, musste China bis zum Ersten Weltkrieg mit den fremden Mächten die sogenannten "Ungleichen Verträge" unterzeichnen. Diese sahen vielfältige Souveränitätsbeschränkungen auf den Gebieten der Politik, der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit vor. China musste die sich sowohl dem Import verschiedener Waren als auch der christlichen Missionierung öffnen. Die fremden Mächte mischten sich in die Innen- und Aussenpolitik Chinas ein. Die einst unumschränkte Hegemonialmacht Asiens wurde zu einer informellen Kolonie. Der Drache (China) wurde unter den Drohungen und den Demütigungen des Bärs (Russlands), des Adlers (der USA), des Hundes (Grossbritanniens), des Frosches (Frankreichs), sowie Japans und Deutschlands zu einem Papier-Tiger.

Als die Mandschu vom Norden durch die chinesische Mauer im 17. Jahrhundert in das Zentrum der Ming-Dynastie hinein drängten und diese umstürzten, wurden sechs Gesetze verhängt: sie betrafen die Änderung der Kleidung, die Änderung der Haartracht, die willkürliche Enteignung von Grund, Boden und Hausbesitz, die Zwangsarbeit und die Todesstrafe für Flucht vor Zwangsarbeit; all diese erweckten den Widerstand der Han-Chinesen sowie der Minderheitenvölker.

Während der beinahe zweihundert Jahre dauernden Herrschaft der Qing-Dynastie hatten sich die Han-Chinesen zwar an die langen Zöpfe gewöhnt, Souveränitätsbeschränkungen durch fremde Mächte verstärkten aber den Hass gegenüber dem Regime radikal; dazu kam eine Reihe von Naturkatastrophen und eine Regierung, die nicht in der Lage war, die durch hohes Bevölkerungswachstum und die verkrustete Bürokratie verursachten ökonomischen Probleme zu lösen. Der zu einem synkretistischen Christentum konvertierte Hong Xiu Quan führte den Aufstand der Bauern gegen die Dynastie und gründete das von 1851 bis 1864 bestehende Himmlische Reich des Grossen Friedens (Tai-Ping Tian Guo). Das Qing-Regime duldete kein Land im Land und unterdrückte paradoxerweise mit der Unterstützung der fremden Mächte die Angehörigen Hongs. Paradox, weil die Dynastie diese ohne Einladung ins Land gekommenen Fremden hätte wegjagen sollen. Der Niedergang der Dynastie und die Korruption des Reiches selber setzten schliesslich dem Aufstand ein Ende, welcher vierzehn Jahre dauerte und wohl zwei Millionen Menschenleben kostete.

Unter solchen Umständen wurde eine grosse Persönlichkeit, Sun Yat-Sen, 1866 in Südchina geboren. Angeblich sagte Sun über seine Herkunft: "Ich bin ein Kuli und der Sohn eines Kulis. Ich habe immer mit dem Kampf des Volkes sympathisiert". Mit allen Schwierigkeiten und durch lebensgefährliche Ereignisse hindurch gründete Sun Yat-Sen die Chinesische Nationalpartei (KMT, Kuomintang) und war die einflussreichste Figur der Xin-Hai Revolution 1911(benannt nach dem chinesischen Jahr Xin-Hai).

Als Jungendlicher reiste Sun Yat-Sen nach Hawaii zu seinem Bruder und ging dort in die Schule. Die erste Berührung mit dem Christentum prägte ihn zutiefst. Danach studierte er Medizin in Hongkong und reiste in verschiedene Länder, um für die Revolution Gleichgesinnte zusammen zu bringen und um finanzielle Unterstützung zu werben. Sun behauptete, seine politische Philosophie basiere auf westlichen Werten und Gedanken; dies geht aus seinen in Form von Büchern ausführlich erklärten "Drei Prinzipien des Volkes", namentlich: Nationalismus, Demokratie und Volkswohl, klar hervor.

Viele Chinesen kennen die abscheuliche Anekdote, welche in der Epoche entstand, als die fremden Mächte in China weilten. Am Tor eines Parks im von Grossbritannien "gemieteten" Shanghai war ein Plakat zu sehen, auf welchem stand: Chinesen und Hunde dürfen nicht rein!

Während eines halben Jahrhunderts wurden erniedrigende Ungleiche Verträge unterzeichnet. Dazu kam die Erfahrung, dass die fremden Mächte nicht barbarisch sondern entwickelter und stärker waren. Japan konnte dank seiner den Westen imitierenden, erfolgreichen Reformen Russland besiegen. So sah sich die Qing-Dynastie gezwungen, eine aussergewöhnliche Bewegung des Lernen vom Westen initiieren zu müssen. Westliche Technik und militärische Ausrüstung sollten wie in Japan eingeführt werden und Offiziere und Beamte im Ausland die Strukturen und die Vorgehensweisen der Regierungen kennenlernen.

Das Regime erfuhr bald, dass die Bewegung zum Scheitern verurteilt war, da eine kleine Regierung die intendierte tief-greifende Reform in seinem riesigen, von lokalen Kräften beherrschten Territorium nicht durch zu führen vermochte. Klein, weil das Qing-Regime eine Strategie der Nichterhöhung von Steuern verfolgte, in der Hoffnung, dass die Bevölkerung gegenüber dem von ausserhalb der Grossen Mauer kommenden Kaiser keinen Aufstand organisieren würde. Selbst wenn diese Strategie mehr als 200 Jahre lang erfolgreich war, verhinderte das Einbrechen der imperialistischen Mächte Regime-interne Reformen. Das Qing-Regime hatte zwar die Absicht Verfassung und Parlament einzuführen; dies war aber zeitlich nicht mehr machbar, denn durch seine eigene Reform studierten viele jüngere Intellektuelle im Ausland und diese gönnten den Regierenden des Mutterlands keine Chance mehr.

Ein "Fäuste der Gerechtigkeit und Harmonie" genannter Verband stand im Jahre 1900 gegen den europäischen, nordamerikanischen und japanischen Imperialismus auf. Ausländer und chinesische Christen wurden von den Aufständischen in den Tod gerissen, was einen Krieg zwischen China und den vereinigten 8 imperialistischen Mächte verursachte. China verlor an das Deutsche Reich, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Österreich-Ungarn, Russland, die USA und Japan, und musste Reparationen in Höhe von 1.4 Milliarden Goldmark und Entschädigungen an betroffene Ausländer zahlen, und zudem den Kotau für ausländische Diplomaten abschaffen. Zu diesen kamen weitere Demütigungen, die China schlucken musste. Nun würde sich dieses Reich wie ein buckliger wackeliger Greis einsam durch die Strassen schleppen. Dies wollte die jüngere Generation nicht zulassen.

Dann kam die Xin-Hai Revolution! Sie begann mit dem Aufstand in Wu-Chang am 10. Oktober 1911 (der 10.10. wurde danach als Nationalfeiertag festgelegt) und endete in der Gründung der Republik China am 1. Februar 1912. Elf Tage später wurde das "Edikt der Abdankung des Qing-Kaisers" unterzeichnet. Der "Wohlwollende Vertrag" erlaubte es dem letzten Kaiser Pu Yi, seinen Titel zu behalten und bestimmte Privilegien und Ehren zu geniessen. Die Republik China errichtete ihre Hauptstadt in Nanjing und wurde von den grossen westlichen Mächte anerkannt. Nach dem 2. Weltkrieg war die Republik China eines der Gründungsmitglieder der Vereinten Staaten und sass im Sicherheitsrat.

Auf die Gründung der Republik China folgte eine lange Reihe von Machtkämpfen und Bürgerkriegen. Die "Lean Government-Strategie" der Qing-Dynastie hatte die Autonomie ausserhalb des kaiserlichen Territoriums in der Hauptstadt verstärkt. Für viele lokale bewaffnete Kräfte bedeutete der Erfolg der Xin-Hai Revolution die Selbstständigkeit der "eigenen" Provinz, was natürlich gegen die Idee Sun Yat-Sens und sein lebenslanges Streben verstiess. Sun erklärte deshalb 1925 in seinem Testament: "Uns ist die Revolution noch nicht gelungen. Die Kameraden mögen weiter nach ihr streben."

Dazu kamen die Aktivitäten der Kommunistischen Internationale in China. Die Gründung der Kommunistischen Partei Chinas erfolgte im Jahre 1921. Diese und verschiedene Warlords kämpften gegen die von der internationalen Gemeinschaft anerkannte Republik China um die Macht. Ein Jahr zuvor hatte der Partei-Vorsitzende Mao Ze-Dong in der Grossen Allgemeinen Zeitung seine Meinung geäussert, wonach sich China auf 27 Länder aufteilen solle. Seines Erachtens waren die grossen Nationen Imperialisten, welche die eigenen Minderheitenvölker unterdrückten und die Bevölkerungen anderer Länder versklavten.

1931 wurde die Chinesische Sowjet-Republik (CSR) mit der Hilfe der Kommunistischen Internationalen gegründet, mit dem Hauptsitz in Rui-Jin. Sie hatte ihre eigene Verfassung, ihre eigene nationale Flagge und auf ihren Geldscheinen war das Porträt Lenins zu sehen. Die frisch erstellte CSR benützte ein Gemeinde-Haus als provisorische Zentrale. Der grosse Saal des Hauses wurde mit Holzbrettern in Büros der 15 Ministerien geteilt. In den meisten Zimmer waren nur ein Tisch, ein Stuhl und ein Bett zur Verfügung.

Der Mukden-Zwischenfall war ein Sprengstoff-Anschlag japanischer Offiziere am 18. September 1931 in der Mandschurei. Dieser dürfte als eine Vorwarnung und Hinweis auf die spätere Invasion durch Japan gelten. Chiang Kai-Shek, der Nachfolger Sun Yat-Sens, erkannte die Absicht Japans, und lancierte zwei Jahre später fünf Angriffe gegen die CSR, in der Hoffnung, dass er sich auf den Krieg gegen Japan konzentrieren könnte, nachdem die CSR entwaffnet worden wäre. Die National-Revolutionäre Armee von Chiang von einer Million Man, kämpfte fast ein ganzes Jahr. Die Chinesische Sowjet-Republik existierte 1'075 Tage und endete nach dem Eintreffen der Erlaubnis der Kommunistischer Internationale mit der Flucht über 12'500 Kilometer in den Norden.

Das Hauptschlachtfeld Asiens im 2. Weltkrieg lag in China. Die Chinesische Kommunistische Partei benützte die Zeit und die Gelegenheit, sich zu stärken und weiter zu entwickeln, während die National-Revolutionäre Armee der Republik China acht Jahre lang gegen japanische Invasoren kämpfte. Aufgrund der jahrzehntelangen Abnutzungskämpfe gegen Warlords und einheimische Bewaffnete war die Republik China nach der bedingungslosen Kapitulation Japans nicht mehr imstande, weitere militärische Aktionen durchzuführen. Sie verlor China an die Kommunisten und musste Ende 1949 nach der Gründung der Volksrepublik China durch die Kommunistische Partei nach Taiwan umziehen.

Taiwan (von den Portugiesen Formosa genannt), die von der VR China als abtrünnige Provinz betrachtete Inselgruppe, war für China historisch unwichtig. Taiwan wurde 1885 von der Qing-Dynastie als Verteidigungsmassnahme gegen Japan zur eigenen Provinz erklärt. Ende des 19. Jahrhunderts verlor China den Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg; Taiwan wurde durch den Vertrag von Shimonoseki 1895 (einer der zahlreichen Ungleichen Verträge in der Qing-Epoche) an Japan abgegeben und war danach ein halbes Jahrhundert dessen Kolonie. Erst nach dem 2. Weltkrieg kam Taiwan zurück an die Republik China. Hingegen hat die Volksrepublik China (früher: Chinesische Sowjet-Republik 1931 oder Chinesische Sowjetische Volksrepublik 1935) Taiwan keine Sekunde regiert.

Nach der Trennung zwischen Volksrepublik China und Republik China herrschten verschiedene politische Bewegungen in China. Die KMT (Nationalpartei) baute das von Japan ausgebeutete Taiwan wieder auf. Während die Volks-Chinesen das Rote Büchlein von Mao Ze-Dong zur Hand nahmen und die rote Sonne lobten, lernten die Kinder Taiwans aus einem kleinem Büchlein, wie man sich korrekt benimmt und wie man höflich mit den Menschen umgeht. Während mehr als eine halbe Million Intellektueller von der Kommunistischen Partei gefangen genommen und in die Erziehungslager gesteckt wurde, gründete man das Komitee der Renaissance der chinesischen Kultur in Taiwan. Die Kulturrevolution wütete zehn Jahre auf dem Festland, während die Taiwaner sich mit den Zehn Zentralen Aufbau-Projekten beschäftigten, welche den wirtschaftlichen Aufstieg Taiwans in den 70er und 80er Jahren beschleunigten. China öffnete sich beschwerlich, als Taiwan schon mit seinem Wirtschaftswunder die Welt erstaunte. Und nun verunsichert der Aufstieg Chinas die
Welt, während Taiwan sich um die Verteilung von Macht und Gewinn auf der Insel sorgt.

Die Republik China war von 1945 bis 1971 ein Gründungsmitglied der Vereinten Nationen, und hatte einen Sitz im Sicherheitsrat. Heute will die Welt nicht wissen, dass die Republik China auf Taiwan ein Rechtsstaat ist. Die internationale Gemeinschaft steht auf der Seite der von der VRCh eingeführten Ein-China-Politik, aus Angst vor wirtschaftlichem Verlust. Ein Wieder-Beitritt der taiwanesischen Regierung in die UNO ist nicht zu erwarten.

Die USA verfügen über eine Strategie, China innerhalb der Kette von Korea, Japan, Taiwan bis zu den Philippinen in seinem Territorium von mehr als neun Millionen Quadratkilometern einzugrenzen. Verliert China Taiwan, wird es von den USA auf den Westpazifik eingeschränkt. Steht Taiwan auf der Seite Chinas, wird die Geostrategie der USA gefährdet. Diese Situation macht Taiwan zur Figur auf dem Schachbrett von Weltmächten.

Dieses Jahr am 10. Oktober wird die "abtrünnige Provinz" ihren 100. Geburtstag feiern, während die Regierung der Volksrepublik China sich davor fürchtet, von ihren eigenen Künstlern, Schriftstellern, Menschenrechtsanwälten auch nur kritisiert zu werden.